Nach Caldas de Reis

Ich bin mal wieder von selbst früh aufgewacht. Die Mädels sollte ich kurz danach wecken. Wie immer waren meine Sachen bereits gepackt und ich ging mit meinem ganzen Kram aus dem Schlafsaal. Ich wollte mich wie immer irgendwo draußen fertig machen. Dort gab es einen großen Raum, allerdings schlief ein Mann auf dem Sofa und ich wollte ihn nicht wecken. Ich suchte mir Platz hinten im Waschraum.

Die Mädels weckte ich deutlich später, ich weiß nicht genau warum. Ich wollte gerne alleine laufen und sie nicht direkt vor bzw. hinter mir haben.

Bei rausgehen fragte mich Borzena, ob ich für die beiden bereits ein Zimmer in Santiago reserviert habe. Dabei haben sie mir noch nicht mal konkret gesagt, für wann und wie lange. Öfter schon haben Sie darüber diskutiert, aber eine feste Entscheidung habe ich nicht mitgekriegt.


Ich sagte das Borzena und außerdem, dass wir uns auf dem Weg sehen. Ich habe uns dreien ein Zimmer in einer Herberge gebucht. Ich habe mir gedacht, dass die beiden mich einholen bzw. ich auf sie auf dem Camino in der Stadt warte.


Und so lief ich alleine los. Es fing an zu nieseln und hörte nicht mehr richtig auf. Zusätzlich war es sehr warm und ich schwitzte.

Ich lief relativ einsam durch schöne Wälder. Das war toll...


Ich konnte wieder erst nach über 10 km Pause machen und frühstücken, aber das war ok. Die Mädels holten nicht auf, also lief ich weiter.


Da das Ende des Caminos bereits in Sicht kam, fragte ich mich, ob das bereits alles gewesen ist. Irgendwie habe ich noch etwas erwartet... Irgendwie ein Wow-Moment... Irgendwas was noch nicht war... Schwer genauer zu sagen was. Ich dachte über diesen Camino noch und verglich ihn mit dem aus dem Vorjahr. In Gedanken machte ich eine Liste, was an dem anderen besser war und es war so viel... Ich wusste, dass dieser Weg ganz anders, nicht vergleichbar und nicht so "prägend" sein konnte, wie der im Vorjahr. Aber, irgendwas fehlte noch...


Als ich in Caldas de Reis ankam, traf ich zwei weitere Pilger, die ich bereits kannte und sie sagten mir, dass die beiden Mädels bereits nach mir gesucht haben. So viel Aufregung... Hatten sie Sorge um mich, oder nur davor, dass sie nun alleine aif sich gestellt waren? Sie sagten jedenfalls nicht, dass sie sich um mich gesorgt haben...War irgendwie eigenartig... Ich fühlte ich mich ihnen gegenüber zu nichts verpflichtet, schließlich bin ich alleine unterwegs. Ich überlegte, ob es besser gewesen wäre, sie bereits früher zu verlassen. Aber wir hatten eine angenehme, unaufgeregte Zeit miteinander und scheinbar war das etwas, das ich zu diesem Zeitpunkt brauchte und jetzt halt nicht mehr....


Tine lief mir auf einmal über den Weg. Ich traf sie bereits die letzte Tage immer wieder und wir sprachen immer kurz miteinander. Sie erzählte mir, dass sie eine Bänderentzündung im Knöchel hat. Seit drei Tagen hat sie Schmerzen. Sie war beim Arzt und er hat ihr angeraten, nicht weiter zu laufen. Das heißt sie schaut wie sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Santiago kommt. Ist zwar schade, aber nicht zu ändern. Ich erzählte ihr kurz von meinem Dilemma mit den Mädels. Ich wollte zum Lunch und sie wollte mich gerne begleiten.


Es gab zur Abwechslung mal Pizza.
Zwischen Tine und mir entwickelte sich schnell eine vertrauensvolle Atmosphäre. Sie erzählte mir, dass die letzte Nacht ein Gästezimmer hatte. Die Familie bei der sie übernachtet hat, muss ein Zimmer vermieten, da die Ehefrau nicht arbeiten kann und sie das Geld benötigen. Die Ehefrau muss nämlich auf die kranke Tochter aufpassen. Diese ist 10 Jahre alt und herzkrank, ihre Lebensdauer ist ungewiss und sehr begrenzt. Als Tine das gehört hat, kam ihr ihre Fußverletzung so bedeutungslos vor und sie empfand starke Demut...

Tine erzählte mir von Michael, den sie vor ein paar Tagen kennengelernt hat. Er hat vor einem Jahr seinen Sohn bei einem Unfall verloren und läuft den Camino um wieder zu heilen und seinen Sohn endgültig gehen zu lassen. Die Geschichte erinnerte mich stark an Ivan...

Tine erzählte noch weiter: sie reist häufig nach Südfrankreich, wo sie immer in dasselbe Restaurant geht. Die zwei Keller die dort arbeiten kennt sie mittlerweile sehr gut, sie kommen aus Kolumbien. Sie haben sich durch Zufall auch mal privat getroffen und beide haben sie mehrfach nach Kolumbien eingeladen. Irgendwann entschloss sie sich hinzufahren. Sie wollten ihr alle Sehenswürdigkeiten in Bogota zeigen. Sie flog hin und beide sagten aus Zeitgründen ab. Nun saß sie dort alleine. Mit einem Taxi vom Hotel ließ sie sich in die City bringen. Das Taxi fuhr weg und so stand sie da. Sie nahm ein anderes Taxi mit einem Fahrer, mit dem sie sich nicht verständigen konnte. Er fuhr die durch die Stadt und zeigte ihr alle Sehenswürdigkeiten, dann Google Translater hat er ihr das Wichtigste übersetzt. Sie hat bei einer Tanzshow auf der Straße zugeschaut und eine Frau hat sich mit Händen und Füßen mit ihr nett unterhalten und ihr gesagt wie schön es ist, dass sie ihr Land besucht. Sie fühlte sich kein einziges Mal unsicher in dieser "hochgefährlichen" Stadt.
Wir sprachen weiter über Gott und die Welt und auf einmal merkte ich... Das war dieser Moment auf den ich gewartet habe... Man sagt nicht umsonst, dass der Camino dir immer das gibt was du brauchst...


Als ich in die Herberge kam, waren die Mädels schon da. Sie wollten ins Hotel in die Therme gehen. Diese ist bereits ganz alt und die Römer haben Sie bereits genutzt. Es gibt ein darüber hinaus auch ein freizugängliches Becken für jedermann in der Stadt. Dort kann man im warmen Thermalwasser seine müden Pilgerfüße erholen lassen.


Später schaute ich mir mit den Mädels noch etwas die Stadt an, kaufte etwas zum Essen für den nächsten Tag und wir gingen zum Abendessen.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0